Aktuelles Forschungsprojekt:
Musik durch Auge und Ohr. Zur Expressivität im Wechselspiel der Künste in Wagners „Ring des Nibelungen“
(Dissertationsthema)
„Alles auf die Darstellung bezügliche kann nur dann musikalischerseits gelingen, wenn die feinste Ausführung des scenischen Details das Gelingen des dramatischen Ganzen überhaupt ermöglicht.“ (WAGNER: GS, 4. Aufl. Bd. 4., C.G. Röder (Hg.), Leipzig 1907, S.146f).
In einer „summarischen Mittheilung in Form einer Broschüre zunächst an alle Dirigenten“ (ebd., S.127f) fordert Richard Wagner, sein Werk nur unter der Bedingung allseitigen Interesses „an dem Gegenstand und an dem Unternehmen seiner Darstellung“ (ebd., S.177-179) zur Aufführung zu bringen oder es andernfalls gänzlich aufzugeben. Sein Beharren auf diese minutiöse Abstimmung von Szenischem und Musikalischem für die Gesamtwirkung ist darin ersichtlich.
Im geplanten Dissertationsvorhaben wird der Frage nach Anteilen auditiver (Sprache und Musik) und visueller Elemente (Szene, Bühnentechnik und Mimische Leistung der DarstellerInnen) im Handlungskontext an der Expressivität der gesamten Bühnenaufführung des Ring nachgegangen. Diese Untersuchung beruht auf der These, dass die Zusammenwirkung der Teilkünste zur Expressivität der Musik beiträgt und Aussagen von RezipientInnen über die Wirkung Rückschlüsse auf (kontrastierende, intensivierende, differenzierende, ergänzende etc.) Wechselwirkungen von Bild, Wort und Klang zulassen.
Dezidiert stehen damalige Aufführungen – 1869 und 1870 (München), 1876 (Bayreuth), 1878 (Leipzig), 1896 (Bayreuth) – im Fokus. Die enorme Fülle an Zeitzeugenberichten schafft ein solides Fundament für Hypothesen über den Zusammenhang von Aufführungsdetails und ihrer Wirkung. Dazu sollen die Rezeptionsstimmen der Zeitzeugen systematisch mit Blick auf die Frage ausgewertet werden, auf welche Faktoren des Werks und seiner Inszenierung sowie auf welche Rezeptionsumstände (kulturhistorische, soziologische, musikpsychologische Aspekte) bestimmte expressive Eigenschaften zurückzuführen sind. In der Arbeit wird daher erstmals über den in der Wagnerforschung üblicherweise untersuchten Rezeptionsbegriff hinaus (Wirkung im Sinne der Wirkungsgeschichte, also eines bestimmten Wagnerbildes und dessen Werks), erstmals die konkrete Wirkung bestimmter Stellen/Szenen etc. auf zeitgenössische HörerInnen erforscht.
Die systematische Aufarbeitung der Expressivität aus dem Blickwinkel zeitgenössischer RezipientInnen verspricht zudem neue Erkenntnisse in der historischen Emotionsforschung, einschließlich soziologischer und psychologischer Aspekte der Wirkung musiktheatraler Werke. Indem diese Untersuchung eine Brücke schlägt von der Rezeption expressiver Momente hin zu Faktoren, welche die entsprechende Wirkung bedingen, werden außerdem Erkenntnisse auf medialer Ebene zu expressiven Eigenschaften der betroffenen Teilkünste (insbesondere im Konzept des Gesamtkunstwerks) gewonnen.
Diese Loslösung von einer rein ideengeschichtlichen Betrachtung ermöglicht überdies, den Fokus weniger subjektiv und unbelasteter auf Wagners Werk zu lenken und öffnet so die Tür zu neuen gewinnbringenden Ideen im interdisziplinären Rahmen mit dem Potential für anknüpfende Forschungsansätze in verwandten Fachgebieten in der Musikwissenschaft und Musikpraxis, der Theaterwissenschaft, Medienwissenschaft etc.
Seit 2023 wird die Dissertation im Zuge des Mercator Stipendiums durch ein historisch informiertes Regiebuch zum 1876er "Ring" erweitert. Zusammen mit der Partitur bildet es eine wesentliche Diskussions-/ bzw. Erläuterungsgrundlage, auf welcher sämtliche szenische Anweisungen und Konzeptionen in ihrer exakten Abstimmung aufzeigbar sind. Das Regiebuch wird mit direktem Praxisbezug in der Arbeit am historisch informierten konzertanten Ring-Zyklus unter Leitung Kent Naganos mit den Dresdner Musikfestspielen und Concerto Köln erarbeitet. Es entsteht also im Rahmen des Promotionsprojekts ein wissenschaftlich fundiertes, aber aufführungspraktisch nutzbares Regiebuch, welches in Wissenschaft und Praxis neue Perspektiven eröffnet.